die neon-fotografien von kurt reichmann

hurdy-gurdy girls

foto: kurt reichmann
foto: kurt reichmann

Was unvorstellbar erscheint - Kurt Reichmann gelingt es mit seinen Neon-Fotos: Wie lässt das rein immaterielle erotische Begehren sich übersetzen in Taten und Leiden des Lichtes? Wie kann man Gefühle visualisieren? Die Psyche scheint sich vom Körperlichen zu lösen; äußert sich als feuriger Farbenwirbel, als Lichtakkord und zarter Astralnebel. Wie aus Alices Wunderwald leuchtet da, vollkommen losgelöst, ein verführerischer Mund auf, dort die Form einer weichen Brust. Fingernägel, die als perlende Lichttropfen im Quintett durch die Dunkelheit gleiten. Diese „Unterwasser-aufnahmen“ tauchen ein in die Welt des Körperlich-Unbewussten. Dabei sind es die Frauen selbst, die sich in Szene setzen, angeregt nur von der Geschichte der Hurdy-Gurdy-Girls.

Es sind Frauen jeden Alters und aus vielen Ländern, die dem Künstler als Modelle dienen. Der Künstler selbst bleibt ganz auf Distanz, ist quasi nur technischer Protokollant der Verwandlungsprozedur. Darum auch: keine Dominanz des männlichen Blickes. Kein Body-Painting mit Leuchtfarben: Hier steht der Körper mit seiner Materialität weiterhin im Mittelpunkt des Geschehens; noch im dokumentierenden Foto bleibt er präsent. Reichmanns Neon-Fotos aber lösen das Licht von den Dingen, fangen allein den Gefühlswert des Dinglichen ein …

Hans-Jürgen Döpp


zum hintergrund

fotos: kurt reichmann
fotos: kurt reichmann

Anfang des 19. Jahrhunderts herrschte in weiten Teilen der Gebiete Hessen-Nassau, Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel bittere Armut. Um zusätzliche Verdienstquellen zu erschließen, begannen die Bauern und Landarbeiter in den zwanziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts damit, im Winter Besen und Fliegenwedel aus Holzspänen herzustellen und diese im Sommer als Hausierer in der Umgebung zu verkaufen. Schnell stellte man fest, dass sich die Waren besser verkaufen ließen, wenn man von tanzenden und Drehleier spielenden Mädchen begleitet wurde. Und schon wurden Tanzen und Musizieren immer wichtiger und die hübschen Mädchen immer bekannter …

Der Erfolg der Drehleier-Mädchen rief natürlich auch die ersten Seelenverkäufer auf den Plan. Sie verpflichteten die naiven Mädchen in den Dörfern und köderten die Eltern damit, dass ihre Kinder viel Geld nach Hause schicken würden. Die Seelen-verkäufer brachten die Mädchen in Tanzkneipen und Animierbetriebe, deren Kund-schaft meist aus Seeleuten oder Goldgräbern bestand. Das Leben der meisten „Hurdy-Gurdy-Girls“, wie sie in England genannt wurden, war aber hart, und viele kehrten gebrochen, krank und mittellos nach Hause zurück.

Oft wurden die Mädchen von ihren Agenten zur Prostitution gezwungen und rutschten ins kriminelle Milieu ab. Auf den Goldfeldern Kaliforniens wurden die Mädchen wegen ihrer Herkunft auch als „Rhinelander“ bezeichnet, in England als „Hessian Broom Girls“ …

 

Der Maler Nathanael Sichel aus Mainz hat in Frankfurt einige Jahre gearbeitet und viele der Hurdy-Gurdy-Girls mit Drehleier oder Tamburin gemalt. Die Bilder tragen jedoch Titel wie z. B. „Zigeunerin mit Gitarre“ – obwohl auf dem Bild eindeutig eine Drehleier zu sehen ist. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Sichel ein angesehener Maler war, der es sich nicht leisten konnte, Kontakte zum „Milieu“ zuzugeben.

Die Neon-Fotografien der „modernen“ Hurdy-Gurdy-Girls wurden im verdunkelten Studio vor schwarzem Hintergrund mit UV-Beleuchtung aufgenommen. Die Models haben dabei die Geschichte der Hurdy-Gurdy-Girls nach ihren eigenen Ideen und Vorstellungen mit fluoreszierenden Makeups und Accessoires in die heutige Zeit versetzt. Die von den Models verwendete Drehleier ist ein Instrumententyp des 19. Jahrhunderts aus der Gegend des heutigen Hessen, welche mit fluoreszierenden Teilen versehen wurde, um den Neoneffekt zu erreichen.


buch-tipp

Buch-Cover
Buch-Cover

Die Neonfotografien der Hurdy-Gurdy Girls sind (2006) als Bildband im Verlag Früher Vogel erschienen.

 

Kurt Reichmann / HURDY-GURDY-GIRLS

Die Neon-Fotografien.

Bildband mit 50 ganzseitigen Abbildungen,

120 Seiten,

Format 20x28 cm

ISBN 3-937463-04-6

 

Der Bildband ist zum (Archiv-) Preis von 25,- Euro (vorher 34,80 €) direkt beim Verlag zu beziehen. E-Mail an frueher-vogel.de

 

 

 

 

kurt reichmann

atelier für kunst und

bau der drehleier
glauburgstr. 67
frankfurt

069. 55 05 63

reichmann@web.de

facebook: reichmann.kurt

Skype: kurt.reichmann

Die Renaissance der Drehleier in der Welt wäre ohne die Arbeit, Forschung, Experi­mentierfreudigkeit und PR-Arbeit von Kurt Reichmann nicht möglich gewesen.
1978 erhält Kurt Reichmann das Bundesverdienstkreuz
für die Wiederbelebung der Drehleier.